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«Weiss-Blaue Nostalgie pur – der Ambri Extrazug fährt wieder»

Im Gespräch mit Mit-Initiant Heinz Imhof zum Revival des Ambri Extrazugs
 
Von André Sägesser
 
In dieser Saison verkehrt wieder ein Extrazug zu den Spielen des HC Ambri-Piotta. Nicht unschuldig am Revival des früher beliebten Ambri Extrazugs ist der in Seedorf aufgewachsene und nun im zürcherischen Knonau wohnhafte Heinz Imhof. Das Urner Wochenblatt hat sich mit dem grossen Ambri Fan und Vorstandsmitglied des Donatoren-Clubs HCAP zum Gespräch getroffen. Im Extrazug nach Ambri natürlich.
 
Einmal Ambri – Immer Ambri. Wie sieht ihre persönliche Ambri Geschichte aus? 
 
Heinz Imhof: Ich hatte das Glück, in einer sportbegeisterten Familie mit 4 älteren Geschwistern aufzuwachsen. Fussball, Eishockey, Skisport und Schwingen waren nebst Politik allgegenwärtige Gesprächsthemen am Mittagstisch. Mit Markus, dem Ältesten, durfte ich dann auch schon mit 11 Jahren zum ersten Mal nach Ambri mitgehen. Dieses Erlebnis, die Fahrt mit dem Extrazug in die bitterkalte Valascia, zu dieser Zeit noch ohne Überdachung, das schnelle und körperbetonte Hockey, die grossen Emotionen mit den grossartigen Gesängen und Pfeifkonzerten haben mich völlig fasziniert. So bin ich dann mit meinen Kollegen regelmässig mit dem Zug nach Ambri gepilgert. Und wir haben in meinem Heimatort gemeinsam den HCAP-Fanclub Seedorf gegründet. Beim Donatoren-Club HCAP, der im Jahr 2002 ins Leben gerufen wurde, bin ich seit Anfang als Mitglied dabei und seit 2012 als Vorstand tätig. Mit der «Gruppe Jesse» haben einige Donatoren-Mitglieder mit Erfolg zwischen 2014 und 2018 den kanadischen Spieler mit Urner Wurzeln, Jesse Zgraggen, unterstützt. Jesse hat sich, vielleicht auch ein wenig mit unserer Hilfe, in der Schweizer Hockeyszene durchsetzen und etablieren können.
 
Sie sind nicht ganz unbeteiligt für das Revival des Extrazugs. Was hat sie dazu bewogen? Wohl nicht nur die Nostalgie vergangener Zeiten?
 
Heinz Imhof: Es war ein lang gehegter Wunsch von vielen Deutschschweizer Fans der «Biancoblù», mit dem Zug sicher an die Spiele des HC Ambrì-Piotta und wieder nach Hause reisen zu können. Denn die Rückreise in die Deutsche Schweiz war bisher aufgrund fehlender ÖV-Verbindungen nur mit dem Auto möglich.  Einen neuen Schub bekam das Projekt mit dem Bau der Gottardo Arena: Der damalige Marketingverantwortliche des HCAP, Adrian Gassmann, ist beim Vorstand des Donatoren-Clubs vorstellig geworden mit der Idee, den Extrazug in Zusammenarbeit mit der Südostbahn (SOB) wieder aufleben zu lassen. Die SOB hat zu dieser Zeit auf der alten Gotthardstrecke den Treno Gottardo ins Leben gerufen, welcher von Zürich nach Locarno mit regulärem Halt in Ambrì-Piotta fährt. Auch für Reto Ebnöther, Leiter Marketing & Vertrieb der Südostbahn, war dieses Projekt von Anfang an eine Herzensangelegenheit. Alle Beteiligten haben viel Zeit und Energie dafür aufgewendet. Aber lange waren die Haftungsfrage bei Zugsbeschädigungen und die Finanzierung ungelöst. Mit der Zusage des HC Ambri-Piotta, sich an den Kosten des Extrazugs zu beteiligen, wurde schliesslich der Weg frei für die Realisierung. Und für mich war damit auch klar, dass alles zu tun ist, was möglich ist, dass der Extrazug ein Erfolg wird und auch längerfristig erhalten bleibt. Denn das Ziel muss sein, den Extrazug mit der finanziellen Beteiligung des HCAP und den Billetteinnahmen über die ganze Saison hinweg kostendeckend zu betreiben. Das finanzielle Risiko trägt allein die SOB. Ich möchte mich an dieser Stelle bei der Südostbahn und bei Reto Ebnöther für das grosses Engagement herzlich bedanken.
 
Auf welche Facts sind sie bei ihren Recherchen gestossen? 
 
Heinz Imhof: In den 70er Jahren lagen auf den Bahnhöfen an der Gotthardstrecke mit dem Beginn der Eishockeymeisterschaft Fahrpläne für Extrazüge nach Ambri auf. In der Saison 74/75 führte die SBB jeweils14 Extrazüge von Arth-Goldau nach Ambri. So frequentierten 1974/75 laut einer Statistik der SBB 1’386 Schlachtenbummler die Züge. Im Schnitt also rund 100 Fans. Diese Zahlen gaben allerdings nicht ein genaues Bild des tatsächlichen Besuchs in der Valascia ab. Denn viele Fans reisten schon mit den früheren Zügen an oder fuhren mit dem Auto nach Göschenen, um dann in den Schnell- oder Extrazug einzusteigen. So entstand über die gemeinsame Hin- und Rückfahrt im Zug der SBB eine grosse Verbundenheit unter den Ambri-Fans. Mit der Eröffnung des Strassentunnels im Jahre September 1980 änderte sich vieles. Die Ambri Fans diesseits des Gotthards reisten nun mit den Autos an die Spiele und das Zusammengehörigkeitsgefühl, dass der Extrazug verbreitete, verschwand zunehmend. Immer wieder wurde jedoch über eine Neuauflage des legendären Ambri Extrazugs debattiert. 
 
 
Die Premiere zum Spiel gegen SC Bern mit dem Zug anzureisen, wurde von über 100 Fans genutzt. Ein guter Start für das Projekt?
 
Heinz Imhof: Ja, auf jeden Fall. Wir hatten im Vorfeld dieses ersten Spiels sehr wenig Zeit, die Fans auf das neue Angebot aufmerksam zu machen. Dass schliesslich über 100 Fans mit dem Extrazug angereist waren, hatten wir auch ein wenig dem grossen Ferienstau vor dem Gotthardtunnel am Samstagnachmittag zu verdanken. Mit 160 Personen bisher am besten frequentiert war der Extrazug beim Heimspiel gegen den EHC Kloten am 18. November.
 
 
Wie lange gibt sich die SOB für das Projekt Zeit?
 
Heinz Imhof: Die Vereinbarung zwischen der Südostbahn und dem HC Ambrì-Piotta läuft bis zum Ende der Regular Season. Sie gilt nicht für Playout- und Ligaqualifikationsspiele. Ob der Extrazug zu den von den Fans erhofften Playoff-Spielen fährt, ist noch offen. Der HCAP hat dafür kein Budget zur Verfügung. Deshalb wird ein allfälliger Playoff-Extrazug vermutlich nur fahren, wenn es gelingt, zusätzliche Sponsoren zu gewinnen, die dieses Projekt aktiv unterstützen. Ich möchte an dieser Stelle interessierte Unternehmen und Organisationen dazu aufrufen, sich beim Donatoren-Club HCAP zu melden. Am Ende der Saison wird abgerechnet: Wenn der erhoffte Durchschnitt von 100 Passagieren pro Fahrt erreicht wird, stehen die Chancen gut, dass der Extrazug auch in der nächsten Saison wieder fahren wird.
 
 
Der Preis von 34.- Franken ist für Urner die nach Ambri wollen gar etwas stolz. Da wird die SOB über die Bücher gehen müssen. Von Zürich aus ist das okay, aber von Altdorf oder Göschenen sehr teuer. Gibt es schon Ideen wie ein faires Preismodell aussehen könnte?
 
Heinz Imhof: Ich denke, man sollte den Preis von 34 Franken differenziert betrachten: Aus ökologischer Sicht steht es ausser Zweifel, dass jeder Ambri Fan mit dem Verzicht auf sein persönliches Fahrzeug einen aktiven und wichtigen Beitrag an unsere Umwelt leisten kann. Aus der finanziellen Perspektive zeigt die Vollkosten-Rechnung, dass der Billettpreis auch für Urner interessant ist, auch wenn sich mehrere Fans ein gemeinsames Auto für die Fahrt nach Ambri teilen. Und persönlich schätze ich natürlich sehr, dass ich bei schlechtem Wetter oder bei Stau auf der Autobahn im Zug sitzen darf und auch mal ein oder zwei Glas Wein mehr trinken kann. Aber natürlich ist es für alle Beteiligten klar: Wenn wir noch mehr Urner Tifosi dazu bringen können, den Extrazug zu benutzen, ist die Zukunft dieses Zug auch in der nächsten Saison gesichert.     
 
 
Sie kommen jetzt auch mit dem Zug an die Spiele in der Gottardo Arena. Was für Fans reisen mit Ihnen mit? Kennt man sich noch aus früheren Tagen oder sind viele neue Gesichter mit im Zug.
 
Heinz Imhof: Es reisen Tifosi aus der ganzen Deutschschweiz mit dem Extrazug. Bereits sehr treu sind die Fans aus der Region Schwyz und dem Aargauer Freiamt. Und durch die Anschlüsse an die SBB in Arth-Goldau und an das ZVV-Nachtnetz in Zürich haben auch schon Fans aus dem Zürich Oberland und aus den Regionen Basel, Bern und Biel Gefallen am Extra-Treno Gottardo gefunden. Viele Urner Tifosi kenne ich bereits seit Jahrzehnten. Sie sind, wie ich auch, dem HCAP in guten und weniger guten Zeiten treu geblieben und schätzen die Einführung des Extrazugs sehr. Auch junge Tessiner Studenten haben das Angebot entdeckt und nutzen dieses rege. Selbst die Familie Hofer aus Zug, die ihren Sohn Valentin in Ambrì unterstützen, sind regelmässig im Extrazug anzutreffen.
 
 
Über den Ambri Extrazug könnte man wohl ein Buch schreiben? Was für spontane Anekdoten kommen ihnen in den Sinn? Immer nur friedlich war es wohl nicht?
 
Heinz Imhof: Ja, natürlich. Es gibt unzählige Anekdoten, an welche sich die älteren Tifosi noch heute gerne erinnern. Bei vielen Fahrten waren nicht nur die gegnerischen Fans, sondern auch die Spieler und Schiedsrichter mit unserem Extrazug unterwegs. Ich erinnere mich an ein Spiel gegen den Zürcher Schlittschuhclub ZSC: Die Ambri-Fans sind nach dem Spiel zwischen Valascia und Bahnhof Spalier gestanden und haben haufenweise Schneebälle vorbereitet. Die gegnerischen Spieler konnten als Schutz wenigstens ihre Sporttaschen einsetzen. Für die Schiris sah es jedoch düster aus. Und natürlich sehe ich die Urner Journalisten-Legende Edi Inderbitzi im Extrazug vor mir. Er hat seine Matchberichte jeweils mit seiner Hermes Baby Schreibmaschine, die auf den Knien seines Gegenübers positioniert war, auf der Heimfahrt nach Uri getippt. Es gab natürlich schon einige Fahrten, welche nicht immer friedlich abgelaufen sind. Aber die positiven Erinnerungen überwiegen glücklicherweise.
 
Der Dreikönigstag 1981 gilt als das ultimative Ereignis des Ambri Extrazugs. Was war da geschehen?
 
Heinz Imhof: Ja, das stimmt. Das Derby gegen den «verhassten» EV Zug war ja bereits früher schon immer sehr speziell. Der Feiertag in der Innerschweiz trug dazu bei, dass der Extrazug nach Ambri und auch die Valascia sehr gut gefüllt waren. Und kurz nach 15 Uhr vernahmen wir über den Stadionsprecher die Durchsage, dass die Rohrbach-Lawine zwischen Wassen und Göschenen die SBB-Bahnlinie und die Autobahn A2 unpassierbar gemacht hat. Das hiess für die Deutschschweizer Fans: Keine Rückfahrt am gleichen Tag in die Innerschweiz. In Ambri, Airolo oder Göschenen wurden für und Übernachtungs-möglichkeiten in den Zivilschutzanlagen vorbereitet. Ich erinnere mich jedoch nicht daran, dass von unserer Clique jemand davon Gebrauch gemacht hat. Vielmehr herrschte Partystimmung ohne Ende und Freinacht in allen Restaurants, bis das Eichhof-Bierdepot in Göschenen keinen Nachschub mehr liefern konnte. Legendär! 
 
Der Donatoren-Club HCAP organisiert am Samstag, 7. Januar 2023 eine Jubiläumsfahrt  nach Ambri zum Spiel gegen den EHC Biel. Können sich da nur Mitglieder des Clubs anmelden oder dürfen auch andere Fans mitreisen?
 
Heinz Imhof: Ja, genau. Der Extra-Treno Gottardo wird am 7. Januar 2023 unter dem Motto «HCAP Jubiläumsfahrt 6. Januar 1981» fahren. Selbstverständlich steht der Zug allen HCAP Fans zur Verfügung. Natürlich auch für Fans der Gegner Mannschaft des EHC biel. Diejenigen Fans, welche jedoch bereits am 6. Januar 1981 das Spiel gegen den EVZ besucht haben, an der anschliessenden Megaparty dabei waren oder auf Umwegen wieder heim in den Norden gereist waren, laden wir ein, uns ihre ganz persönliche Geschichte über dieses denkwürdige Ereignis zu erzählen. Gerne nehmen ich die Geschichten via WhatsApp Sprachnachricht auf 079 641 72 67 oder per Mail auf Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! entgegen. Ich bin riesig gespannt auf die hoffentlich vielen Geschichten der Ambris Fans, die sich am Dreikönigstag 1981 rund um den Lawinenniedergang ereignet haben. 
 
 
Nur mit Spezialticket möglich
 
«Wir haben seit der Einführung des Treno Gottardo zahlreiche Nachrichten von Eishockeyfans erhalten, ob wir eine solche Spätverbindung aus dem Tessin anbieten können», sagt Reto Ebnöther, Leiter Marketing & Vertrieb der Südostbahn. «Wir freuen uns, dass wir dieses Herzensprojekt nun realisieren können.» Der Treno Gottardo verbindet seit Dezember 2020 die Deutschschweiz und die Leventina bis nach Bellinzona und Locarno umsteigefrei über die Gotthard-Bergstrecke. Die Extrazüge der Südostbahn Richtung Norden verkehren nach den Freitags- und Samstagsspielen ab Ambrì-Piotta um 22.55 Uhr. Damit ist der Transport auch nach allfälligen Verlängerungen gewährleistet. Bedient werden die Bahnhöfe Airolo, Göschenen, Erstfeld, Altdorf, Flüelen, Brunnen, Schwyz, Arth-Goldau, Zug und Zürich. Der Extra-Treno Gottardo trifft um 00.55 in Zürich HB ein und bietet damit Anschluss an die Züge des ZVV-Nachtnetzes in der Region Zürich. Für den Extrazug muss ein Spezialbillett gelöst werden. Dieses ist im Webshop der SOB unter www.trenogottardo.ch/hcap erhältlich und kostet pauschal 34 Franken (Kunden mit GA oder Juniorkarte zahlen nur 10 Franken). Im Preis inbegriffen ist die individuelle Hinfahrt mit dem Treno Gottardo ab Zürich nach Ambrì-Piotta und die Heimreise mit dem Extrazug. Die Nutzung des Extrazuges ist nur mit diesem Spezialbillett möglich. Die Extrazüge werden von Kundenbegleitern der Südostbahn und Sicherheitspersonal begleitet. Die eingesetzten Traverso-Züge bieten Platz für 359 Personen.  An den Spieltagen der Tessiner Derbys verkehrt kein Extrazug. 
 
 
Text: André Sägesser
 
Foto: André Sägesser

 





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